27. Countryfest Radbruch – ein großes Familientreffen

Das vergangene Pfingstwochenende hatte ja etliche Country-, Linedance- und Truckerfeste im Angebot. Mich verschlug es wie seit mehreren Jahren wieder nach Radbruch bei Lüneburg. In der kleinen niedersächsischen Gemeinde mit gerade mal gut 2.200 Einwohnern hatte sich 1996 der Country Club Wild West e.V. gegründet. Dieser startete im gleichen Jahr mit seinem 1. Countryfest und damals gut 400 Besuchern. Dieses Jahr fand (mit einer Corona-bedingten 2-jährigen Pause) bereits das 27. Countryfest statt, was zum 25. Mal die mittlerweile jährlich zwischen 5.000 und 6.000 Besucher auf das Gelände des Hof Eggers einlud, einen Familien-Bauernhofbetrieb für Obst, Spargel und anderes Gemüse sowie Biogas. Bei den Vorbereitungen für das diesjährige Countryfest hatte der Country Club eine neue Herausforderung zu stemmen: Unmittelbar nach dem Fest in 2023 hatte der Bau einer riesigen Spargelhalle auf dem “Festgelände” begonnen und in diesem Jahr stand der große grüne Bau nun genau an der Stelle, wo normalerweise ein Teil des Kinder-Bereiches “Broken Wheel Country” aufgebaut war. Aber die Mitglieder hatten die Stellplätze einiger Essens- und Getränkestände, den Kinderbereich und die Ausstellungsfläche für die Oldtimer-Trecker geringfügig umplatziert, so dass das gleiche Rahmenprogramm wie in den Vorjahren geboten werden konnte. Der Samstag begann (wie seit etlichen Jahren) auf der Live-Bühne mit der Band “Die Melker” aus Norderstedt, die sich selbst “Humorband” nennen. Die Show der Band sollte man auch mit einer ordentlichen Portion Humor nehmen. In Radbruch macht es auch nichts, dass “Die Melker” nicht viel mit Country Music zu tun haben, ausser vielleicht bei ihrem Song “Help me melken through the night” (nein, KEIN Schreibfehler…), und auch nicht, dass nicht mehr jeder Gesangston 100%ig ‘sitzt’, denn die stets textsicheren Fans der seit ca. 40 Jahren aktiven Musiker füllen bereits am Samstag Morgen um 10 Uhr ordentlich den Festplatz.

Durch das Programm führte wie jedes Jahr der 1. Vorsitzende des Country Club Wild West e.V., Hans-Jürgen Hinrichsen, genannt “Hansemann”, bei der Moderation der “Melker” und der Vorstellung der “Zweitakt-Freunde Südergellersen” sowie einiger der ca. 100 angereisten Oldtimer-Trecker in seiner Rolle als “Bauer Brakelmann”. Hierbei roch es dann anstatt nach Bratwurst, Pizza und Crepes vor der Bühne nach Benzin-Öl-Gemisch und Diesel und man konnte etliche Fahrzeuge bestaunen, die schon etliche Jahrzehnte auf dem Motorenbuckel haben.

Weiter ging’s im Programm der großen Bühne mit den “Forgotten Sons Of Ben Cartwright” aus dem Raum Osnabrück, die schon im letzten Jahr einen tollen musikalischen Eindruck hinterlassen hatten und deshalb mit einer erneuten Einladung belohnt wurden. Die Band mit einem der wohl längsten Bandnamen in der Country-Szene verriet übrigens in diesem Zusammenhang, dass die meisten Fans und Veranstalter die 4 Musiker oft nur mit “irgendwas mit Bonanza” betiteln. Kein Wunder, denn der Bonanza-Faden findet sich nicht nur im Bandnamen, sondern die Sets werden stets mit der Titelmelodie der berühmten Fernseh-Serie aus den frühen 60ern gestartet und beendet. Ausserdem ist eine lebensgroße Pappfigur von “Pa” Ben Cartwright ebenfalls immer mit auf den Bühnen dabei. Das Programm ist eine bunte und perfekte Mischung aus Country-Klassikern und Lieblings-Songs der Linedancer, die daher auch die (unmittelbar nach Beendigung der Trecker-Parade in Nullkommanix aufgebaute) große Holztanzfläche vor der Bühne zahlreich bevölkerten.

In den Umbaupausen auf der großen Bühne bietet das Countryfest Radbruch übrigens gegenüber den meisten anderen Festen und Festivals eine ganz spezielle Besonderheit: Hier legt nicht irgendein DJ die Pausenmusik auf, sondern das Duo “Schischi & The Duke” aus dem ca. 45 km entfernten Neu-Wulmstorf singt live gefühlt wirklich jeden nur denkbaren Linedance-Hit, egal ob brandneu oder ur-alt, aber auch viele Oldies but Goldies. Und somit ist in Radbruch auch in den Umbaupausen eine stets gut gefüllte Tanzfläche für Paar- und Solo-Tänzer garantiert. “Schischi & The Duke” sind nicht nur deswegen bei der Programm-Zusammenstellung des Countryfestes Radbruch seit etlichen Jahren immer die Ersten, die für das Folgejahr fest gebucht werden.

Der nächste Programm-Punkt hatte Premiere in Radbruch: Tom Rascal & The Lakeland Cowboys aus verschiedenen Ecken Süddeutschlands mit ihrer “Zentrale” in der Nähe von Nürnberg trafen mit ihren vielen New Country Songs nicht nur den Geschmack des Publikums und der Linedancer in Radbruch, sondern konnten auch viele neue Fans in Norddeutschland gewinnen. Vielleicht sieht man die Musiker nun ab und zu mal öfters im Hohen Norden – auf jeden Fall wieder in Radbruch, denn Hansemann liess schon durchblicken, dass der Auftritt von Stefan, Dieter, Martin sowie Tom & Tom (Rascal & Stiegler) in 2024 nicht der letzte in Radbruch gewesen sein dürfte. Man darf sich also überraschen lassen, wann die Süddeutschen Cowboys wieder in Radbruch auf der Bühne stehen werden.

Durch Moderator Hansemann wurden an diesem Nachmittag noch einmal die Mitglieder des Country Clubs und die gesamte Familie Eggers, die seit 25 Jahren ihr Gelände für dieses tolle Event zur Verfügung stellt, vor die Bühne gebeten. Hier wurde der Familie Eggers dann zum 25. Countryfest-Jubiläum eine selbstgebaute Sitzbank zur Erinnerung übergeben. Und entgegen der letzten Jahre, in denen Hansemann es immer offen liess, ob er weiter als 1. Vorsitzender und somit auch als Chef des Countryfestes zur Verfügung stehen würde, verkündete er in diesem Jahr, dass er sich mit der Familie Eggers bereits verbindlich auf mindestens 3 weitere Jahre festgelegt hatte, so dass sein Chefposten und das 30. Countryfest Radbruch bereits gesichert sind.

Der Samstagabend endete mit einem Auftritt der in Radbruch bereits bekannten Band “Gone Country” aus Bielefeld. Mit viel Liebe zum musikalischen Detail haben die 4 Musiker ein Programm zusammengestellt, das nicht nur etliche Songs aus den aktuelleren Billboard-Charts, sondern auch selbstgeschriebene Nummern, Country-Klassiker sowie Pop- & Rock-Songs beinhaltet, zu denen es teilweise sogar Linedance-Choreografien gibt. Und somit boten “Gone Country” nicht nur Titel von Alan Jackson, John Denver oder Glen Campbell, sondern zur Freude etlicher Besucher, die nicht allzu viel mit Country am (logischerweise auch nicht vorhandenen) Hut haben, auch Songs von Ed Sheeran, Avicii oder den “Unknown Stuntman” von Lee Majors. Und obwohl bei “Gone Country” dieses mal nur Herren auf der Bühne standen (manchmal ist die Tochter von Lead-Sänger Buddy Blake als Gastmusikerin dabei), gab es auch einige Nummern, die im Original eigentlich von Frauen gesungen werden, z.B. “Jolene” von Dolly Parton oder “Neutron Dance” von den Pointer Sisters. Der Samstag endete wettertechnisch halbwegs trocken, lediglich am Nachmittag hatte es 1 x kurz genieselt. Die Kehlen blieben jedoch alles andere als trocken…

Daher wunderte es auch niemanden, dass die Stimme von Moderator Hansemann am Sonntag um 11 Uhr noch nicht wirklich gesangstauglich war, aber die Anmoderation der bereits mehrfachen Radbrucher Gäste “Free Bears” klappte einwandfrei. Die Mischung der “Free Bears” aus Country, Rock’n’Roll und Rockabilly lockte bereits viele Tagesgäste sowie etliche Camper aus den Wohnmobilen heraus auf die Tanzfläche. So ganz nebenbei erwähnten die 4 Musiker dann noch, dass sie nächstes Jahr ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum feiern werden, was dann zu einer verbindlichen Einladung für Radbruch 2025 durch Hansemann höchstpersönlich führte.

Die Stimmung am frühen Vormittag konnte eigentlich nicht besser sein, aber dann öffnete sich doch ein einziges mal ‘so richtig’ der Himmel – in der Umbaupause und nur für knapp 15 Minuten. Somit flüchteten die Fans unter die Vordächer, unter die Getränkestände (was dann auch noch zu einer inneren Durchfeuchtung geführt haben dürfte) und unter die Zelte der Händler, die sicherlich in diesen 15 Minuten den einen oder anderen Extra-Euro verdient haben. Und ein Tanzpaar liess sich zum (in diesem Moment mehr als passenden) Umbaupausen-Song “Crying In The Rain” von “Schischi & The Duke” durch den Regen nicht von der Tanzfläche verscheuchen (Danke an Jackie Koschack für diese tolle Momentaufnahme).

Auch die nächste Band war nicht das erste Mal in Radbruch zu Gast: New Horses aus Niedersachsen rund um Lead-Sängerin Sina Kindermann zogen trotz ein paar älteren Country-Nummern eindeutig eher die New-Country-Karte aus em Ärmel und servierten viele Titel, u.a. von Sara Evans oder den Chicks (ehemals Dixie Chicks), an die sich andere Sängerinnen eher nicht heranwagen. Band-Leader Lutz Lagemann stand übrigens bereits zum 18. Mal in Radbruch auf der Bühne, bedingt auch durch Auftritte mit dem Projekt “Slow Horses”, aus dem die aktuellen “New Horses” entstanden sind, sowie Shows mit anderen Formationen. Zwischendurch konnten die Gäste verschiedene Pferde-Shows vom Showteam Nordheide und Jeanne Vagt bewundern bzw. die Angebote für Kutschfahrten oder Ponyreiten nutzen.

Ab ca. 17:30 Uhr stand dann ein Programmpunkt auf der Bühne, den sich die Mitglieder des Country Club Wild West explizit gewünscht hatten: das Duo “Fairschärft”, das aus zwei bekannten Country-Duos der späten 90er und frühen 2000er Jahre entstanden ist – “Fairplay” und “Claudy Blue Sky”. Die beiden hochklassigen Multi-Instrumentalisten und Sänger Claudia und Jörn hatten sich bedingt durch die Tatsache, dass eine Zusammenarbeit mit ihren bisherigen Duo-Partnern aus unterschiedlichen Gründen immer schwerer umzusetzen war, zu einer testweisen Kooperation entschieden, was trotz zwischenzeitlicher Corona-Zwangspause nicht nur zu einem musikalischen Mega-Erfolg, sondern mittlerweile auch zu einer glücklichen Ehe geführt hat. Mit ihren beiden früheren Projekten waren Claudia und Jörn in der Vergangenheit schon mehrfach in Radbruch zu Gast gewesen. Pfingsten 2024 gab es nun den ersten Auftritt von Fairschärft – mit allem, was dazu gehört: Aktuelleren Songs wie “Shallow”, gern und oft gehörten Klassikern wie “18 Wheels And A Dozen Roses”, DDR-Hits wie “Alt wie ein Baum” oder “Am Fenster” und natürlich vielen Songs aus den Fairplay-Jahren. Der “Kümmerling-Blues” durfte da natürlich nicht fehlen. Hierbei gesellte sich dann auch Hansemann zu den beiden Musikern auf die Bühne und sang lautstark mit, sofern es die schon sehr gebeutelten Stimmbänder noch zuliessen. Natürlich wurden am Ende ihrer Show auch Fairschärft wieder nach Radbruch eingeladen. Man darf sich überraschen lassen, ob sie dann wieder – meiner persönlichen Meinung nach mehr als passend – für das Nachmittagsprogramm zuständig sein werden oder einen der beiden Abende abschliessen dürfen.

Auf den Abschluss am Sonntagabend hatten viele Country-Fans hingefiebert, war es doch schon 5 Jahre her, seitdem “Memphis Boulevard” aus Dänemark rund um den charismatischen und energiegeladenen Band-Leader Mark Schedler zuletzt in Radbruch zu Gast waren. Aber als es dann schliesslich los ging mit der knapp 2 1/2 stündigen Show von “Memphis Boulevard” fühlte es sich für den trotz ein paar Niesel-Schauern immer noch proppenvollen Festplatz so an, als wenn nur ein paar Tage seitdem vergangen waren. Noch immer ist Frontmann Mark mit deutschen Wurzeln so aktions- und energiegeladen auf der Bühne unterwegs, dass man denken könne, er sei mit Red Bull statt Muttermilch großgezogen worden. Der mehr als großartige Entertainer weiss selbst bei Balladen das Publikum geschickt in seine Show einzubinden und die Aufmerksamkeit der Fans keine Sekunde von der Bühne gleiten zu lassen. Kein Wunder also, dass in der zweiten Runde das Publikum bis nach vorne zum Bühnenrand gerückt war und nun zu fast jedem Song von “Memphis Boulevard” mitsang und teils auch ein wenig ausflippte. Und ebenfalls kein Wunder, dass alle nach dem letzten Song “Born To Be Wild” einstimmig und lauthals nach Zugaben riefen – und natürlich bekamen.

Radbuch 2024 konnte sich offensichtlich wieder über einen mehr als freundlich gesonnenen Wettergott freuen (denn in einem Umkreis ab 5 km hatte es ‘Land unter’ und Aquaplaning gegeben, nur auf dem Hof Eggers nicht) sowie über viele freundliche Gäste, zufriedene Händler und Musiker und einen noch zufriedeneren, jedoch stimmlich hörbar angeschlagenen 1. Vorsitzenden ‘Hansemann’ Hinrichsen. Um festzustellen, ob es in 2025 genau so sein wird, sollte man sich den 7. und 8. Juni 2025 für das 28. Countryfest Radbruch bereits jetzt im Terminkalender eintragen.

Bildergalerie Samstag, 18.5.2024

Bildergalerie Sonntag, 19.5.2024

Fotos: Marion Freier & Jackie Koschack